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Vor dem Jahr 1455, vor der Fertigstellung der 42-zeiligen Bibel (B42) von Johannes Gutenberg also, wurden die meisten Bücher noch von Hand geschrieben, bis auf einige wenige, die von Holzschnitten gedruckt wurden.
Die Schreiber hatten sich im Lauf der Zeit immer mehr darin geübt, Buchstaben beim Schreiben zusammenzuziehen bzw. überhaupt zu vereinigen und dadurch neue Zeichen zu schaffen.
Einesteils, um schnelleres Schreiben zu ermöglichen, wenn die Buchstabenverbindungen so angelegt waren, dass man sie möglichst wenigen Federstrichen (geschrieben wurde meist mit der Breitfeder) ausführen konnte.
Andernteils, weil die für die damalige Zeit gültige Ästhetik es verlangte, dass die Wortabstände (Leerräume) möglichst gleichmäßig aussahen und daher Blocksatz nicht durch unterschiedlich breite Leerräume, sondern durch unterschiedlich breite Buchstaben bzw. durch unterschiedliche Buchstabenkombinationen (Ligaturen) erreicht wurde.
Hauptsächlich aber wohl, weil das bevorzugte Medium Pergament teuer war und ein möglichst raumsparendes Unterbringen des Texts daher angebracht war, was durch auch die vielen Abbreviaturen belegt ist.
Johannes Gutenberg, der darum bemüht war, das Schriftbild seiner 42-zeiligen Bibel möglichst ähnlich den handgeschriebenen Werken erscheinen zu lassen, übernahm die Idee der Ligaturen. Er verwendete daher eine große Anzahl verschiedener Ligaturen in diesem Werk, die den Zweck hatten, die Wortzwischenräume möglichst gleich groß zu halten bzw. den rechten Randausgleich nicht zu deutlich ausfallen zu lassen.
Wobei es Ligaturen mit bis zu sechs unterschiedlichen Ausführungen gab, von denen die meisten aber höchstwahrscheinlich wegen erforderlicher Nachgüsse Unterschiede aufwiesen und nicht etwa aus technischen oder ästhetischen Gründen, da die Präzision der Lettern in späteren Jahrhunderten bei Weitem noch nicht erreicht wurde. Alle Ligaturen waren Minuskelligaturen.
Das bedeutet aber auch, dass es noch keinerlei Regeln für den Einsatz bzw. das Auflösen der einzelnen Ligaturen gab, da einzig und allein der ästhetische Gesichtspunkt der gleichmäßigen Wortzwischenräume bei möglichst gleicher Zeilenlänge die Verwendung von Ligaturen und Abbreviaturen bestimmte.
Hinzu kam der ökonomische Aspekt des Platz sparens – also der Einsatz möglichst vieler Ligaturen und Abbreviaturen, um das Volumen und damit nicht zuletzt den Preis des Druckwerks so gering wie möglich zu halten.
Untenstehend ist eine Ligaturenauswahl der B42 angeführt, wobei mehrfache, abgeänderte Vorkommen einzelner Ligaturen nicht berücksichtigt sind. Einige Ligaturen sind mit Abbreviaturen kombiniert (Abb. 38). Die Zeichen basieren auf der Schrift Good City von Andrew S. Meit.
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Abb. 18: Ligaturenauswahl der B42

All diese Ligaturen inklusive der Abbreviaturen und der Standardzeichen in einem einzigen Setzkasten unterzubringen, war sicher nicht ganz einfach. Da die Setzer damals ihre Arbeit noch im Sitzen verrichteten, musste der Setzkasten so beschaffen sein, dass jedes Fach auch im Sitzen zu erreichen war, ohne dass der Setzer für die äußersten Fächer größere Verrenkungen in Kauf nehmen musste.
Ich gehe daher davon aus, dass Buchstaben unterschiedlicher Dickten oder minimaler Gestaltungsdifferenzen in ein- und demselben Setzkastenfach untergebracht waren. Schon deshalb, weil es gar nicht möglich ist, minimale Dicktenunterschiede während des Setzens im wahrsten Sinn des Worts zu »erfassen«. Beim Ablegen, das wahrscheinlich schon damals aus dem Griff erfolgte, schon gar nicht, da hierbei die Dickten einzelner Zeichen gar nicht »begriffen« werden können.
Ein Setzer konnte an einem Tag vermutlich 2 Seiten der B42 setzen, wenn die Korrektur der beiden am Vortag gesetzten Seiten vom Ableger durchgeführt wurde. Da es keinen Stehsatz gab, die Seiten also nach dem Drucken gleich wieder abgelegt wurden, ergab sich ein Zeichenbedarf für 6 Seiten (2 Seiten im Satz, 2 Seiten im Druck, 2 Seiten beim Ablegen). Das entspricht etwa 1200 Stück des Buchstaben e. 400 davon sollten sich daher am Anfang des Tages im Setzkasten befinden. Die passten da aber wohl kaum hinein.
Ich vermute daher, dass jeder Setzer – oder ein Setzer mit seinem Ableger, welche ein Gespan bildeten –, über 2 gleiche Setzkästen verfügte. Dies schon mal deshalb, weil das Ablegen aufgrund der großen Anzahl an Ligaturen und Abbreviaturen eine zeitaufwändige Angelegenheit darstellte und daher die Setzleistung drastisch vermindert hätte. Darum könnte also ein eigener Ableger, wie es ihn auch in späteren Jahren gab, diese Aufgabe erledigt haben.
Da es nicht zielführend ist, in denselben Setzkasten abzulegen, an dem gleichzeitig ein Setzer setzt, könnte das Ablegen eben in einen zweiten Setzkasten erfolgt sein. Aufgrund dieser Methode wäre es auch möglich gewesen, den ersten Setzkasten mit fehlenden Zeichen »on the fly« aus dem zweiten Setzkasten aufzufüllen. Ein Setzkasten musste also dann nicht unbedingt die Menge aller benötigten Zeichen für eine Tagesproduktion aufnehmen.
Auf dieser Basis habe ich einen historischen Setzkasten rekonstruiert. Da es keinerlei authentische Unterlagen über Setzkästen und ihre Belegung vor dem 18. Jahrhundert gibt, ist dessen Gefachung ebenso wie das Belegungsschema rein spekulativ. Die Ausmaße betragen etwa 90 x 60 cm, sodass ein Einzelfach ca. 4 x 5,5 cm misst.
Die Grundlage für die Platzierung der Gemeinbuchstaben bildet die Rekonstruktion des Setzkastens von William Caxton aus dem Jahr 1480 in einer Rekonstruktion von William Blades aus dem Jahr 1877. Wie gesagt, reichlich spekulativ – aber so ähnlich könnte es gewesen sein (Abb. 39).
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Abb. 39: Gutenbergs Setzkasten für die 42-zeilige Bibel (um 1450)
Ein Rekonstruktionsversuch
Die Technologie des Satzes mit beweglichen Lettern verbreitete sich rasant, das ästhetische Empfinden änderte sich. Druckereibesitzer wie auch Setzer sannen über Methoden nach, die Geschwindigkeit des Setzens zu erhöhen.
Es wurden daher viele Ligaturen aus den Setzkästen verbannt, andere hingegen neu geschaffen.